Interview mit der Zeitschrift

Trendy Single "

Februar 2016

Nora Amelie im Interview mit einem Tantramasseur über neue Formen des Berührt-seins 

Lust,

Scham   und

Begnadete  Hände 

Wenn man offen mit der eigenen Sexualität umgeht, sich Neuem nicht verschließt und auch Experimente wagt, stößt man früher oder später auf Tantra. Der Begriff assoziiert zuallererst einmal wohl Nacktheit in Gruppen, bis hin zu freizügigen sexuellen Erlebnissen. Die westliche Welt hat der alten indischen Philosophie des Tantra viele Nuancen abgerungen. Eine, über die es sich zu sprechen lohnt, ist die Tantramassage.

Auf der Suche nach einem Masseur, dem ich bei einer derartig intimen Angelegenheit das nötige Vertrauen entgegenbringen würde, stieß ich auf den deutschen Tantramassage-Verband. Er zertifiziert die Arbeit der Tantramasseure, fordert also eine gewisse Qualität der Berührung ein. Guido Dippel, zweiter Vorstandsvorsitzender und selbst in der Ausbildung tätig, war bereit, mir meine vielen Fragen zu beantworten. Was mich letztlich auch dazu bewog, auf sein Massageangebot einzugehen. Unser Treffen fand an einem verregneten Septembertag in seiner Praxis in Velbert statt ... 

NA: Wir sehen uns heute zum ersten Mal, Guido. Gleich werde ich meine Kleider ablegen und mich für eine Tantramassage in deine Hände begeben. Was erwartet mich?

GD: Erwartet kommt von Erwartung. Da die Tantramassage aber kein planbares Ziel hat, sondern eher alles willkommen heißt, was entstehen will, kann ich diese Frage gar nicht konkret beantworten. Jede Massage ist anders. Ich erspüre, was der Mensch braucht, der zu mir kommt. Daran orientiere ich mich. Es darf alles sein. Auch du selbst lässt dich am besten treiben, frei von jeglichen Erwartungen. Die Lust mit all ihrer Energie, die Traurigkeit mit all ihren Tränen, der Orgasmus mit all seinen Tönen und auch die Angst mit all ihren Formen darf sein. Du darfst dich in einem geschützten Raum zeigen, wie du dich gerade fühlst, darfst alle Masken ablegen und dich fallen lassen. Du darfst dich auf eine Reise zu dir selbst begeben. Dabei werde ich dich mit meiner ganzen Achtsamkeit begleiten und den Raum dafür kreieren. Ich werde dich respekt- und würdevoll berühren. Auf eine ganzheitliche Art.

 

Ich gestehe, ich war im Vorfeld skeptisch. Ich habe darüber nachgedacht, wie es sein wird, mich von einem fremden Mann intim berühren zu lassen. Wie gehen die Frauen, die zu dir kommen, damit um? Wie groß ist die Scham, sich darauf einzulassen?

Diese Gedanken machen sich viele Frauen. Beim Termin sagen sie
 mir oft, dass sie sehr aufgeregt sind.
 Aber Frauen entscheiden sich nicht spontan für eine Tantramassage. Meist ist das ein langgehegter Wunsch. Mit vielen Frauen habe ich im Vorfeld Mailkontakt oder wir telefonieren miteinander, sodass ich nicht mehr der große Unbekannte für sie bin. Im Nachhinein, sprich nach der Massage, höre ich dann häufig, dass sie sich in diese intimen Berührungen einfach hineinfallen lassen konnten und dass die Gedanken im Vorfeld unbegründet waren.

 

Die Frauen bauen also offensichtlich schnell Vertrauen zu dir auf. Wie schaffst du das? Mir selbst beispielsweise gefällt die Ruhe, die du ausstrahlst, und die Aufmerksamkeit, die du mir entgegenbringst. Was ist für dich in der Kennenlernphase entscheidend?

Eine Erklärung für diesen Vertrauensbonus könnte tatsächlich die Ruhe sein, die ich ausstrahle, und die Offenheit, mit der ich den Frauen von der ersten Minute an begegne. Das Kennenlernen beginnt für mich schon im Vorfeld mit dem Kontakt per Mail oder Telefonat. Beim Massagetermin selbst bin ich dann sehr präsent in meiner Wahrnehmung. Meistens sind die Frauen sehr aufgeregt. Ich führe sie zunächst in den Raum, in dem die Massage stattfindet, und biete ihnen etwas zu trinken an. Dann lasse ich sie noch einmal für einen Moment allein. So darf der Raum, den ich mit viel Liebe eingerichtet habe, seine Atmosphäre entfalten. Ich glaube, dass das beruhigend wirkt. Wenn ich den Raum wieder betrete, beginne ich mit einem unverfänglichen Gespräch, bevor es konkret wird. Ich möchte, dass es der Frau leicht fällt zu reden. Während ich ihr mit all meinen Sinnen zuhöre.

 

„ Berührung gibt immer dann ein gutes Gefühl,

wenn sie achtsam geschieht. “

 

Die Informationen, die du auf diese Weise erhältst – inwieweit sind sie für die Massage hilfreich?

Für mich ist es zunächst wichtig zu wissen, ob es die erste Massage ist oder ob es schon eine Vorerfahrung gibt. Wenn ja, welche und wo. Darüber hinaus interessiert mich, mit welchen Beweggründen die Frau zu einer Tantramassage kommt. So kann ich mir noch einmal bewusst machen, worauf ich ganz besonders achten muss. Was die Massage betrifft, folge ich dann meiner Intuition. Sie berücksichtigt das Gehörte, verläuft aber unter Umständen ganz anders, weil sich während der Massage neue Aspekte ergeben. Das ist das Wundervolle an meinem Beruf. Ich kann auf die geringste körperliche oder emotionale Reaktion sofort reagieren.

 

Nimmt die Tantramassage aus deiner Sicht auf Gesundheit und Wohlbefinden eines Menschen Einfluss? Und wenn das so ist, kannst du den Effekt genauer beschreiben?

Ich denke, ja. Berührung gibt immer dann ein gutes Gefühl, wenn sie achtsam geschieht. Für mich ist Berührung so unerlässlich wie Essen und Trinken. Dass und wie berührt wird, wirkt sich also auf die Gesundheit aus. Trotzdem bin ich vorsichtig mit solchen Äußerungen. Denn Gesundheit ist ein weitreichender Begriff. Es gibt keine Studien, die besagen, dass eine Tantramassage gesundheitsfördernd ist. Ich bin trotzdem der Ansicht – und es ist mir wichtig hervorzuheben, dass es meine Ansicht ist, dass eine Tantramassage vieles bewirken kann. Es kommt darauf an, wie offen man für diese Art von Berührung ist. Dann kann die Massage unglaublich viel in Bewegung bringen. Auch die Qualität der Berührungen entscheidet darüber. Deshalb ist es gut, sich an ein Institut zu wenden, in dem es gut ausgebildete Masseure gibt. Das sollte auf der Webseite erkennbar sein. Kurzum: Wenn Wohlbefinden sich positiv auf die Gesundheit auswirkt, ja, dann nimmt die Tantramassage Einfluss darauf.

 

Warum ein Institut? Braucht es für eine Tantramassage speziell ausgebildete Masseure?

Das kann ich ganz klar mit ‚ja‘ beantworten – unbedingt. Und zwar ganz dringend. Bei einer Tantramassage arbeiten wir mit Energien, besonders mit der Sexualenergie. Gerade der Schoß der Frau ist, modern ausgedrückt, ein Speichermedium alter Verletzungen bzw. für das Unterbewusstsein. Wenn ich da etwas löse, sollte ich als Masseur richtig reagieren können, Halt und Sicherheit bieten. Ich habe aus diesem Grund eine zusätzliche Fortbildung zum Sexualtherapeuten gemacht. Darüber hinaus ist Tantra leider kein geschützter Begriff. Tantramasseur/in kann sich jede/r nennen. Das muss man wissen, bevor man sich auf die Suche macht. Der „zertifizierte/r Tantramasseur/in TMV e.V." ist allerdings sehr wohl geschützt und weist auf eine fundierte, gute Ausbildung hin. Im Gegenzug dazu stehen mir die Haare zu Berge, wenn ich im Internet bei anderen die Formulierung ‚Massage mit tantrischen Elementen‘ lese. Das ist für mich nicht seriös. Immer wieder kommen Frauen zu mir, die sich bei solchen Anbietern sehr unwohl, manchmal sogar ausgenutzt gefühlt haben. Im Grunde bewundere ich dann ihren Mut, sich erneut einer Situation zu stellen, in der sie verletzlich sind. Aber die Freude über ihr Vertrauen zu mir überwiegt. Ich nehme die Herausforderung, ihnen das Wunderbare der Tantramassage zu offenbaren, gern an. Wer also einen Tantramasseur für sich sucht, sollte skeptisch
 werden, wenn er keine Informationen zur Art der Ausbildung
des Anbieters findet. TMV-Masseure sind immer als solche gekennzeichnet.

Vielen Dank für diesen Hinweis, Guido. Das macht es sicher für Interessierte leichter, einen geeigneten Masseur oder eine Masseurin zu finden. Du sprichst von Sexualenergie. Hat die Tantramassage den Orgasmus zum Ziel?

Die Sexualenergie ist
 eine Lebensenergie, die wir in uns haben.
 Da wir Masseure die 
Tantramassage als eine
 ganzheitliche Massage betrachten, ist es
 selbstverständlich,
 den Intimbereich in
 die Berührungen einzubeziehen. Aber das 
geschieht, wie schon
 gesagt, ohne konkretes
 Ziel. Wenn dabei Lust
 entsteht, darf sie sein.
 Auch mit einem Orgasmus. Oder all dem anderen, was sich an emotionalen und körperlichen Reaktionen zeigen will. Gäbe es ein Ziel, würde ich es eher darin sehen, Körper, Geist und Seele in ihrer Ganzheitlichkeit zu berühren.

 

Also gibt es durchaus Frauen, die bei einer Tantramassage einen Orgasmus erleben?

Ja, die gibt es. Manche erleben ihn in einer anderen Intensität als sonst, manche ejakulieren auch zum ersten Mal dabei.

 

Du meinst das noch immer kontrovers diskutierte Squirten? Ich glaube, das wäre mir auch eher unangenehm ...
  

Ja. Ich nenne es weibliche Ejakulation. Vielen Frauen ist das tatsächlich unangenehm und sie halten sich aus Unwissenheit
 zurück. Da sie kurz vor der Ejakulation eher das Gefühl haben,
 sie müssten zur Toilette, verkrampfen sie sich, statt loszulassen. In der Tantramassage darf jedoch all das einen Raum haben, auch das Ejakulieren. Eine völlig neue Erfahrung für viele 
Frauen mit einer ganz neuen Qualität des Empfindens. Ich
 selbst kann aber nur dazu einladen, sich darauf einzulassen. Es
   letztlich zu tun, entscheidet jede(r) für sich.


 

Aber ist das nicht etwas ausgesprochen Intimes? Sprengt es nicht den Rahmen dessen, was man als Frau bei einer solchen Massage zulassen kann? Ich denke, manche der Frauen, die zu dir kommen, werden ja auch einen Partner haben. Es ist sicher schwierig genug, dem zu erklären: Ich gehe zur Tantramassage.

Ich kann nur von mir als Tantramasseur und von meinen Erfahrungen sprechen. Mich interessiert es erst einmal nicht, in welcher Lebensgemeinschaft die Frau lebt. Es sei denn, sie redet darüber. Aber in erster Linie zählt für mich der Mensch, der bei mir ist. Frauen kommen in den seltensten Fällen spontan zu mir. Sie befassen sich meistens sehr lange mit dem Gedanken, sich eine Tantramassage zu gönnen. Da tauchen Fragen auf wie ... „Kann ich mich nackt vor einem fremden Mann zeigen?“ „Was passiert, wenn ich Lust bekomme oder sogar einen Orgasmus?“ Interessanterweise erledigt sich das Thema so gut wie immer auf ganz natürliche Weise während der Massage. Die Frauen bestätigen mir oft im Nachhinein, dass es sich normal angefühlt hat, sich von mir intim berühren zu lassen und dabei Lust zu zeigen. Aber auch, und das sollten wir keinesfalls vergessen, Traurigkeit. Manche weinen oder schreien sogar. Du kannst es dir ungefähr so vorstellen, als würdest du eine Reise antreten, in der wir uns immer vertrauter werden und wo dann alles geschehen darf, was sich eben ergibt!

 

Der Vergleich mit der Reise gefällt mir. Es gibt ja dieses Phänomen, dass man sich Reisegefährten schnell öffnet, weil man weiß, man sieht sich nie wieder. Wie ist das mit den Frauen, die bei dir waren? Kommen sie wieder? Wie oft sollte man sich überhaupt eine Tantramassage gönnen?

Das ist ganz unterschiedlich. Je nachdem, aus welchen Gründen jemand zu mir kommt. Wegen des Wohlfühleffekts oder weil Frau sich nicht weiblich genug fühlt, eine andere Berührungsqualität kennenlernen möchte, sexuellen Missbrauch erlebt hat, unter sexuellen Dysfunktionen leidet, unter Burnout oder um nach einer Krebsoperation wieder in ein positives Körpergefühl zu kommen. Es gibt so unterschiedliche Gründe. Deshalb kann ich über die Häufigkeit nichts Genaues sagen. Da aber die erste Massage meist mit sehr viel Aufgeregtheit verbunden ist, sollten es mindestens zwei sein. Beim zweiten Mal geht es mehr ins Fallenlassen. Ansonsten kann man sich eine Tantramassage so oft gönnen, wie sie einem gut tut.

 

„ Die Sexualenergie ist eine Lebensenergie,

die wir in uns haben. “

 

Wenn ich mir die Gründe anschaue, aus denen man zu dir kommt, würde ich denken, man sollte sich nach der Massage eine Auszeit gönnen, um wieder zu sich zu kommen. Wie siehst du das?

Das wäre meine Empfehlung. Nicht gleich zum nächsten Termin hetzen. Es kann im Nachhinein noch so viel geschehen. Ich halte es für ratsam, sich nach der Massage Zeit für sich zu nehmen und alles erst einmal wirken zu lassen. Optimal wären zwei Tage Urlaub hinterher. Für mich ist es übrigens nach jeder Massage wundervoll zu sehen, wie sich die Augen der Frau verändern. Selbst Menschen aus dem Umfeld, wie Freunde, Bekannte und Arbeitskollegen, nehmen positive Veränderungen wahr. Zumindest wird mir häufig davon berichtet.

 

Jetzt reden wir die ganze Zeit über die Frauen, die zu dir kommen. Was ist mit dir selbst? Empfindest du Lust, wenn du eine Tantramassage gibst? Und wenn, wie gehst du damit um?

Ja, manchmal verspüre auch ich Lust. Und die darf sein und ist willkommen. Aber ich möchte ausdrücklich unterstreichen, dass es nur um meinen Gast geht. Ich selbst tue nichts, um meine Lust aktiv zu befriedigen. Sie ist einfach nur da.

 

Hat deine Tätigkeit als Tantramasseur dein eigenes Liebesleben verändert?

Auch hier ein klares ‚ Ja‘. Ich war nicht
 immer Tantramasseur, hatte früher sozusagen einen normalen Job. Sexualität war 
mir allerdings stets sehr wichtig, und nach
 der Trennung von meiner Frau bin ich auf
 Entdeckungsreise gegangen. Die Abwechslung war am Anfang sehr spannend. Doch irgendwann dachte ich mir: Da muss es doch noch etwas anderes geben, vor allem mehr Tiefe. Ich stieß auf die Tantramassage. Habe erst einmal ein Grundseminar besucht und war überwältigt von der Achtsamkeit der Berührungen. Ich machte mich auf eine Reise zu mir selbst und entdeckte viel Unbekanntes. Es war fast so, als hätte ich mich vorher eigentlich gar nicht gekannt. Das hat natürlich mein Liebesleben verändert. Was nicht heißt, dass ich jetzt nur noch tantrische Sexualität lebe. Ich bin allerdings sehr feinfühlig geworden, im Geben wie im Nehmen.

 

Das bringt mich auf eine vielleicht heikle Frage: Kann die Tantramassage Ersatz für fehlenden Sex sein? Was spricht dafür, was dagegen?

Möglich, dass einige Frauen genau deswegen zu mir kommen. Weil ihnen Sex fehlt. Aber ob die Tantramassage ein Ersatz dafür ist? Dafür spräche vielleicht die Vertrautheit, die ich in sehr kurzer Zeit aufbauen kann. Die Achtsamkeit und der Respekt, den ich der Frau entgegenbringe. Zumindest sind das drei der Dinge, die für Frauen beim Sex wichtig sind. Die Tiefe, die ich mit der Massage erreiche, nährt zusätzlich. Aber sicher kommt es auch drauf an, was die Massage für die einzelne Frau symbolisiert. Selbstliebe, ein erotisches Erlebnis oder gar eine abgeschwächte Form von Fremdgehen? Ich weiß es nicht.

 

„ Obwohl ich das, was ich tue, mit Herz und Liebe mache,

es bleibt eine Arbeit. “

 

Und wie baut man Intimität, Vertrautheit und Nähe während der Massage im Anschluss daran wieder ab? Entstehen nicht oft auch Gefühle, die man nicht so einfach abschütteln kann?

Klar kann die Tantramassage Emotionen hervorrufen, die an mich als Masseur gekoppelt sind. Das ist okay so und muss auch nicht schnell wieder abgeschüttelt werden. Mir ist wichtig, dass die Frauen nach einer Massage mit einem guten Gefühl gehen. Aber das Ganze ist ein Ritual, das einen Anfang hat und natürlich auch ein Ende. Die Rollen sind konkret verteilt in den Gebenden und den Empfangenden. Die Frau kann also gut bei sich und damit in ihrer Rolle als Empfangende bleiben. Damit sie nach der Massage wieder in ihrer Welt ankommen kann, muss ich den geschützten Raum, den ich für die Massage aufbaue, hinterher wieder öffnen. Das tue ich mit derselben Achtsamkeit, die ich ihr während der Massage selbst entgegenbringe. Aber auch wenn die Stunden bei mir emotional nachwirken, ist das wohl eher ein Indiz dafür, dass Frau bei sich selbst angekommen ist. Das Bewusstsein dafür ist wichtig. Denn ich kann und muss mich abgrenzen. Obwohl ich das, was ich tue, mit Herz und Liebe mache, es bleibt eine Arbeit. Wenn auch eine besondere und nicht allzu typische. Ich sehe mich als eine Art Reisebegleiter zu einem bisher nicht gekannten intensiven Fühlen und zu tiefem Erleben des eigenen ganzheitlichen Seins.

 

Gibt es eine Vision von deinem Tantra? Was möchtest du als Tantramasseur erreichen?

Meine Vision ist (m)eine Herzensangelegenheit. Ich wünsche mir für die Tantramassage gesellschaftliche Akzeptanz. So normal, wie man heute Wellnessmassagen in Anspruch nimmt, soll man das auch mit Tantramassagen tun. Als Tantramasseur möchte ich die Menschen in erster Linie auf ganzheitliche Weise berühren und ihnen eine natürliche Art von Sexualität näherbringen. Wenn meine Gäste das von mir annehmen, verinnerlichen und weiter reichen, multipliziert es sich und fördert unseren achtsamen und respektvollen Umgang miteinander. Insofern verspüre ich eine Menge positiver Energie in mir, die hinaus will in die Welt ...

 

Nach diesem Interview machen wir eine längere Pause. Wechseln das Thema, trinken Tee. Und so nach und nach finde ich mich im Modus des Passiven ein. Als Guido mich schließlich dazu einlädt, mit meiner Kleidung auch all meine momentanen Gedanken abzulegen, bin ich voller Vorfreude auf meine Tantramassage. Wie ich mich dabei fühle, was genau geschieht – darüber in der nächsten Ausgabe des Magazins. 

Eure Nora Amelie
 Autorin u. a. sinnlich-erotische Liebesromane

Nora Amelies

Erfahrungsbericht

Lust,

Scham   und

Begnadete  Hände 

Das Gespräch mit Tantramasseur Guido Dippel hat mir viel von meiner Aufregung genommen. Als der Moment kommt, da wir uns beide auf die mehrstündige Prozedur vorbereiten, fühle ich mich bei ihm in guten Händen. Die Chemie zwischen uns stimmt. Guido ist von sportlicher Statur, wirkt ruhig und einfühlsam. Ein intensiver, forschender Blick aus braunen Augen. Keine Unsicherheit. Aber vielleicht doch ein Versuch herauszufinden, ob ich das hier wirklich will, ob ich bereit dafür bin? Ja, ich bin bereit. Ich habe mich gedanklich darauf vorbereitet, von einem fremden Mann intim berührt zu werden. Nicht nur auf der Haut. Sondern tief in mir, in meiner Mitte, meinem Zentrum. Dort, wo ich mich bislang so unvollkommen berührt gefühlt habe. Im Interview sprach Guido von Berührungsqualtät. Und ja, das ist es, was ich erwarte. Wissende Berührungen. Egal, was sie bewirken. Aber sie sollen mich meinen. Sie sollen mir unter die Haut gehen.

Immer wieder habe ich meinen Blick an diesem Tag durch den Raum schweifen lassen, während wir miteinander sprachen. Es ist warm, gemütlich, riecht gut. Das Zimmer wird von einer großen Massagematte dominiert.

Erdige Farben, dezentes Licht. Überall Handtücher und Ölfläschchen. Natürlich kommt inzwischen wieder ein wenig Unsicherheit auf. Doch die Vorfreude überwiegt. Mich von jemandem massieren zu lassen, der so offensichtlich weiß, was er tut, wird mir keineswegs unangenehm sein. Ich betrachte die große weiße Blüte, die einladend auf einem Kissen liegt. Das Gedankenkarussell in meinem Kopf dreht sich langsamer. Ich möchte jetzt in die Situation hinein. Ich bin so weit.

Guido scheint das zu spüren. Er weist mir den Weg zum Bad, wo ich mich frisch machen kann. Alles ist sehr sauber und aufgeräumt. Ein Lunghi und Bastschuhe liegen für mich bereit. Frische Handtücher hängen auf der Wandheizung. Die winzigen Details, mit der alles für mich vorbereitet ist, begeistern mich. Hier hat sich jemand wirklich Mühe gegeben, damit ich mich wohlfühle. Ich wickle mich in das große bunte Tuch.

Als ich aus dem Bad komme, öffnet Guido die Tür zum Massageraum und nimmt mich in Empfang. Er trägt ebenfalls einen Lunghi. Seine Füße sind nackt. Das Licht im Zimmer ist jetzt deutlich gedimmt. Und die Heizung noch ein wenig höher gedreht.

Der Masseur schließt die Tür und bittet mich für das Begrüßungsritual auf einen
kleinen Teppich. Wir reichen uns die Hände. Leise Worte, die mich auf eine Reise 
zu mir selbst einladen und achtsame Begleitung anbieten. Ich schließe die Augen.
Während seine Fingerspitzen an meinem Körper hinabfahren wie an einer Spirale, umkreist er mich mehrmals. Der imaginäre Tantrafaden. Sekunden später spüre ich, wie ich beginne zu entspannen.

Guido stellt sich dicht hinter mich, legt einen Arm um mich, hält mich. Ich spüre, dass er seinen Lunghi löst. Für einen Moment bin ich sehr im Kopf und mache mir seine Nacktheit bewusst. Im Interview hat er zugegeben, dass er manchmal auch selbst erregt ist bei einer Tantramassage. Dass er diese Lust zulassen kann, sie aber nicht in den Vordergrund rückt. Priorität hat derjenige, dem er seine Berührungen schenkt. Wird er bei mir erregt sein? Und wenn, werde ich es merken?

Guido löst auch meinen Lunghi, lässt ihn über meinen Körper gleiten, lässt mich den Stoff fühlen. Dann führt er mich zur Massagematte und ich lege mich auf den Bauch. Sphärische Musik ertönt. Er setzt sich vor mich, sorgt für Körperkontakt, indem er meine Hände sacht auf seine Beine legt. Schließlich beginnt er mit sanften, streichelnden Bewegungen. Dabei nutzt er mir bereits Bekanntes, gibt ihm eine neue Funktion. Mehrfach weht der Lunghi über meinen Körper und sensibilisiert alle meine Synapsen. Als Guido den Stoff irgendwann in einer langen fließenden Bewegung von mir wegzieht, meine Zehenspitzen freilegt, meine Schenkel, meine Brüste, mein Gesicht und zuletzt mein Haar, ist das eigentlich auch nur ein Hauch. Aber ich empfinde genau das als unglaublich intensiv. Es geht mir unter die Haut. Ich hätte niemals erwartet, dass sich ein winziges Stück Stoff so anfühlen kann.

Das Tuch ist fort, ich bin jetzt gänzlich nackt. Guido greift nach den Ölen und verteilt gefühlte Unmengen davon auf meiner Haut. Dann beginnt er die Massage. Knetet sanft Arme und Beine, Rücken und Po. Streicht über meine Schultern, den Hals hinauf und über den Kopf. Es fühlt sich gut an. Manche Massageelemente kenne ich aus der ganzheitlichen Therapie, der ich mich alle paar Wochen unterziehe. Die Dehnung des Schulterbereiches beispielsweise. Ich merke, dass ich auch jetzt die Reaktionen meines Körpers intensiv beobachte. Ich bin wieder einmal im Kopf. Erinnere mich daran, was ich über den Ablauf weiß. Dass zunächst ausgiebig die Rückseite massiert wird, ehe ich mich drehen werde. Und dass die Yoni, und damit meine geheimste Region, aber eben auch der Speicher für all das, was ich bisher erlebt habe, erst im letzten Drittel Zuwendung erfährt. Trotzdem fühle ich mich schon jetzt äußerst intim berührt. Ich liege mit leicht gespreizten Beinen auf dem Bauch, während Guido meine Pobacken so intensiv knetet, dass alles in mir in Wallung gerät.

Ich horche in mich hinein, lote meine Befindlichkeiten aus. Leichtes Unwohlsein taucht auf. Es kommt mir bekannt vor. Doch ich hätte nicht erwartet, diesem Gefühl hier zu begegnen. Sekundenlang verstärkt es sich. Ich denke sogar darüber nach, ob es zu intensiv ist und ich die Massage deswegen abbrechen muss. Aber so, wie es aus dem Nichts auftaucht, verschwindet es wieder. Erleichterung. Innerhalb weniger Minuten erreiche ich erneut den Punkt, da mir die Massage Vergnügen bereitet.

 

„ Hier hat sich jemand wirklich Mühe gegeben,

damit ich mich wohlfühle. “

 

Meine Augen sind geschlossen. Manchmal habe ich den Eindruck, Guido massiere im Rhythmus der Musik. Es gibt Sequenzen, da wird die Massage parallel zum Sound intensiver. Vielleicht empfinde ich das auch nur so. Denn mit dem Kopf weiß ich, dass jede Massage anders ist. Dass sie nie nach Regeln abläuft oder gar nach Plan. Dazu sind die Menschen und ihre Reaktionen auf Berührung viel zu unterschiedlich. Guido hat gesagt, er erspüre, welche Körperregion mehr Aufmerksamkeit benötigt als andere. Und danach würde er handeln.
 Ich darf mich umdrehen. Früher, als ich erwartet habe. Es ist ein bisschen, als verließe ich den Kokon der Geborgenheit. Vielleicht sind meine Augen deshalb leicht geöffnet. Guido fragt, ob es mir gut geht. Ich nicke. Und will schnell wieder versinken. Der Regen trommelt auf das Dachfenster, Musik lullt mich ein. Ich liege auf dem Rücken und vermeide jede Bewegung. Tantra ist Berührung von den Zehen bis zu den Haarspitzen. Und in der Tat: Jeder einzelne Zeh, jeder Finger, selbst mein Haar erfährt intensive Zuwendung. Meine Brüste sind hoch sensibel. Die Berührung meiner Brustwarzen schickt sofort süße kleine Stromstöße in meinen Schoß. Mir wird warm. Als Guidos Hände weiter südlich wandern, meinen Bauch massieren und dabei immer wieder bis zum Schamhügel streichen, muss ich zur Toilette.
 Die Blase drückt. Er hatte mir vorher gesagt, wann immer eine solche Situation einträte, ich solle mich bemerkbar machen. Ich teilte ihm meine Bedenken mit, auf diese Weise die Atmosphäre zu zerstören, aber er meinte, davor müsse ich keine Angst haben. Das ließe sich ganz schnell korrigieren.
 Also mache ich mich bemerkbar. Er hilft mir hoch und das ist auch nötig. Denn ich fühle mich wie betrunken. Ich mag die Augen nicht öffnen. Ich mag eigentlich auch gar nicht den Raum verlassen. Ich stehe neben mir und trotzdem geht es mir ausgesprochen gut.
 Im Bad schaue ich kurz in den Spiegel. Mein Blick ist verhangen. Aber nicht nur das. Mein Gesichtsausdruck wirkt, als wäre ich gerade nicht von dieser Welt. Eindrucksvoll. Ich wanke zurück in den Massageraum. Guido kniet neben der Matte und erwartet mich. Erst jetzt macht sich bei mir wieder der Gedanke breit, dass er ja nackt ist. So nackt wie ich. Aber von Scham kann keine Rede sein. Sie spielt einfach keine Rolle mehr. Platz ist nur für gute Gefühle. Und Nacktheit kann ein gutes Gefühl sein. Besonders dann, wenn der andere einen so annimmt, wie man ist. Ohne jede Maske. Die lässt sich beim Tantra sowieso nicht aufrecht erhalten.
 Ich liege also wieder und es geht weiter. Wenig später ist von der kurzen Unterbrechung nichts mehr zu merken.  Guido kniet jetzt zwischen meinen Beinen.
 Ich weiß, dass er gleich zum dritten Teil
 der Massage übergehen wird, zur Berührung der Yoni, wie die Vagina im Sanskrit
 genannt wird. Ein schönes Wort. So weich 
und mädchenhaft. Ich bin gespannt, wie es sich anfühlt, wenn er mich dort berührt. Wenn er in mich eintaucht. Ob es so ist, wie ich es mir die ganze Zeit über vorgestellt habe? Der Vergleich mit dem Besuch beim Frauenarzt drängt sich mir auf. Im Grunde sollte Guido mir ähnlich fremd sein. Aber das eine lässt sich mit dem anderen nicht ansatzweise in einen Zusammenhang bringen. Beim Gynäkologen bin ich Patientin. Die Untersuchung ist absolut unerotisch. Das ist beim Tantra anders. Obwohl die tantrische Erotik für mich eine andere Qualität hat, als die Erotik, die ich beim Zusammensein mit meinem Partner empfinde.
 Die Erotik einer Tantramassage ist selbstlos. Nicht der Orgasmus steht im Vordergrund, sondern die Stimulierung sämtlicher Nervenzellen der Yoni. Ich habe dennoch das Gefühl, dass sich orgiastische Gefühle aufbauen werden.
Tatsächlich stehe ich schnell unter Strom. Habe ich bis eben noch voller Verwunderung beobachtet, an welchen Stellen Guido mich berührt, wie er es tut und was das in mir auslöst, bin ich im nächsten Moment erschrocken.
 Meine Unterarme werden schwer. Ich weiß nicht, warum, und beame mich in eine Situation, die das erklären könnte. Ich stelle mir vor, fixiert zu sein. Das lässt mich die merkwürdige Schwere meiner Unterarme leichter ertragen. Aus der Schwere wird eine Starre, schließlich das Gefühl, hoffnungslos verkrampft zu sein. Meine Finger krallen sich zusammen. Ich bin wie elektrisiert. Habe die Hände nicht mehr unter Kontrolle. Mühsam versuche ich, sie unter den Po zu schieben. Damit sie nicht unkontrolliert zucken. Währenddessen massiert Guido unbeirrt weiter.
 Es ist schön, intensiv. Zu intensiv, als dass ich mich fallen lassen könnte. Und doch muss irgendetwas in dieser Richtung passiert sein. Meine Arme entspannen sich ein wenig. Ich spüre, wie mir ein Kloß im Hals wächst.

 

„ Ich bin gespannt, wie es sich anfühlt,

wenn er mich dort berührt. “ 

 

Dann kann ich die Tränen nicht mehr zurückhalten.
 Ich wollte nicht weinen. Ich dachte, ich wäre davor gefeit, mich so gehen zu lassen. Selbst wenn ich weiß, dass das sein darf, ja vielleicht sogar gewollt ist. Heulen, das gibt es bei mir selten in einer solchen Situation. Aber auch damit lässt Guido mich nicht allein. Er zieht mich zu sich hoch, hält mich, gibt einen Atemrhythmus vor, damit ich mich beruhige. Ich fühle mich so geborgen dabei, dass ich mich meiner Tränen nicht einmal mehr schäme.
 Mit dem eigenen Mann im Bett wäre an dieser Stelle in den meisten Fällen Schluss. Doch Guido macht weiter. Er weiß, dass mir noch etwas fehlt. Er hat erspürt, dass meine Yoni der Teil an mir ist, der die meiste Zuwendung benötigt. Er gibt mir mehr Raum, ins Gefühl zu kommen, loslassen zu können, dahinzutreiben.
 Das Ganze ist unglaublich aufwühlend. Als ich nach der Massage für einen Moment allein im Raum bin, Zeit habe, zur Besinnung zu kommen, rolle ich mich auf die Seite, fühle mich wie ein Embryo und breche erneut in Tränen aus. Ich weiß nicht, woher das kommt. Vielleicht werde ich für den Rest des Tages ein einziges Nervenbündel sein?


Ich drehe mich auf den Rücken. Die Lampe über mir wirft zauberhafte Muster an die Decke. Sanfte Musik trägt mich beinahe wieder in eine leichte Trance. Ich höre Guido irgendwo laufen. Dann geht die Tür auf. Er bringt mir zu trinken und Schokolade. Und spricht mit mir. Er trägt wieder seinen Lunghi. Mich hat er mit meinem zugedeckt. Das Gespräch in dem noch immer dämmrigen Zimmer tut gut und ist ein schöner Ausklang. Ich könnte ewig so liegen. Guidos Gegenwart fühlt sich vertraut an und richtig. Das Erste, was ich dann von der Realität wieder wahrnehme, ist der Regen, der immer noch auf das Dachfenster prasselt. Guido schaut mich an und lächelt. „Sieh in den Spiegel“, meint er, als ich ins Bad verschwinde.

Und das tue ich. Meine Augen glänzen auf so überirdische Weise, wie ich es nie zuvor gesehen habe. Wie Licht. Sie überstrahlen alles andere. Eigentlich besteht mein ganzes Gesicht nur aus diesen leuchtenden Augen. Was für eine Wandlung! Bevor ich mich auf den Heimweg mache, trinken wir noch einen Tee zusammen Auch Guido ist wieder angekleidet. Nimmt sich Zeit für meine Fragen. Ich bedaure, dass es vorbei ist. Doch vielleicht werde ich es wiederholen. Guido sagt, beim ersten Mal ist man noch sehr im Kopf. Oft gelingt es erst beim zweiten Mal, sich gänzlich fallen zu lassen. Als ich schließlich gehe, habe ich das Gefühl, dass mich das Bedürfnis nach mehr schnell einholen wird.
 Für all jene unter euch, die sich dieses wundervolle Erlebnis gleichfalls gönnen möchten – ihr erreicht Guido Dippel unter www.fuehlharmonie.de. 

©Guido Dippel, Alle Rechte vorbehalten